Sonja Hartl

Domestic Noir – Ärgern über einen Begriff

Oh ja, der „Noir“ wurde als Label entdeckt. Unter „Nordic Noir“ werden Krimiserien vermarktet, die vom Noir lediglich die düstere Atmosphäre haben, und gefühlt wird bei fast jedem Trend derzeit versucht, ihm ein „Noir“ anzuheften. Dazu gehört auch das Subgenre (von was eigentlich?) „domestic noir“. Klar, schon bei „Nordic Noir“ wurde der Noir-Begriff ähnlich weit gedehnt, aber „domestic noir“ ist als Begriff mitsamt Implikationen weitaus ärgerlicher.

Mit „domestic noir“ sollen Kriminalromane charakterisiert werden, die vornehmlich in Privathäusern, im Alltag und in einer häuslichen Umgebung spielen und sich hauptsächlich mit der weiblichen Erfahrung auseinandersetzen, so dass sie deutlich machen, welche Gefahren in Beziehungen und in der „domestic sphere“ für Frauen lauern. Erfolgreich wurde er insbesondere im Zuge der „Girls“-Romane „Gone Girl“ und „The Girl on the Train“ sowie ihre Nachfolger. Versuche ich nun, den Begriff positiv zu sehen, könnte ich anführen, dass der Begriff „domestic noir“ zu verdeutlichen versucht, dass nicht nur auf den „mean streets“ Gefahren lauern, sondern auch in der heimischen Sphäre und am Arbeitsplatz. Ich weiß zwar nicht, wer das jemals bestritten hat, aber ja, der Noir ist tendenziell eher mit der Straße und der Stadt verbunden. Allerdings lauern die Gefahren in der heimischen Sphäre offenbar lediglich für Frauen – und ab hier wird es ärgerlich. Denn damit verortet „domestic noir“ die Frauen in einer häuslichen Umgebung und innerhalb einer (heterosexuellen) Beziehung. An anderen Orten der Gesellschaft scheint sie keine Rolle zu spielen, vielmehr wird sie definiert durch ihr Haus und ihre Beziehung. Das ist reaktionär und konservativ, deshalb fällt es mir auch schwer, in all den Romanen über gefährliche Frauen und Ehen feministische Tendenzen zu erkennen. Sie bedienen fast alle das Muster, dass eine arglose Frau sich in einen charismatischen Mann verliebt und diese Liebe dann von Psychopathie bedroht wird – wahlweise die der Frau, des Mannes oder einer/eines Dritten. Aber stets geht es in erster Linie um die Beziehung. Zu erkennen beispielsweise – weil „domestic noir“ zwar überwiegend, aber nicht nur von Frauen geschrieben wird – in „Ich.Darf.Nicht.Schlafen“ von S.J. Watson.

Eine weitere oftmals als feministisch attribuierte Neuerung soll zudem darin liegen, dass Frauen nicht mehr nur Opfer sind, sondern auch als komplexe Täterinnen in psychologischen Spannungsromanen (so wäre die korrekte Einordung, sofern denn eine vorgenommen werden soll) erscheinen. Und spätestens an dieser Stelle ist nun ein tiefer, ein sehr tiefer Seufzer angebracht. Denn natürlich gab es schon vorher komplexe Frauenfiguren in Thrillern, man blicke auf Daphne du Maurier, auf Vera Caspary, auf Sara Paretsky – oder auf Pieke Biermann. Neu ist hingegen etwas anderes: der große Erfolg, den „Gone Girl“ und „The Girl on the Train“ hatten, und die damit verbundene Erwartung, dass ähnliche gestrickte Bücher ihn nun wiederholen. Solange sie nur unter einem Label zusammengefasst werden können und ein „Girl“ im Titel tragen, denn das suggeriert gleichermaßen Unschuld wie Gefährlichkeit. Oder anders ausgedrückt: Protagonistinnen müssen nun nicht mehr sympathisch sein, um eine breite Masse in der Leserschaft anzusprechen. Solange sie Mädchen bleiben.

Doch es bleibt nicht nur bei den „girls“ im Titel. Wenngleich diese Bücher von dem Dunkel erzählen soll, das hinter der perfekten Fassade in der Regel sehr gut situierter Haushalte lauern soll, wenngleich sie von den Schwierigkeiten erzählen sollen, die die Ansprüche an moderne Frauen mit sich bringen – sie sollen perfekt aussehen, Karriere machen, eine gute Ehefrau und noch bessere Mutter sein und sich bitte sehr auch um das Haus kümmern, damit es den Ansprüchen eines „Schöner Wohnen“-Katalogs entspricht –, erfüllen die Bücher diese Prämissen nur selten. Schaut man einmal genauer hin, sind die Frauenfiguren in diesen Romanen nicht stark und unabhängig, sie sind schwach, verwirrt und abhängig von Männern. Sie sind deshalb keine starken Täterinnen, keine Manipulatorinnen wie beispielsweise Phyllis Dietrichson in „Double Indemnity“. Aber das sind die starken, bösen Frauen, von denen ich lesen will. Und bis die Literatur wieder dorthin gelangt ist, könnte man vielleicht wenigstens aufhören, in „domestic noir“ feministische Tendenzen hineinzudeuten.

Erschienen in der Polar Gazette.

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