Sonja Hartl

Im Gespräch – Adrian McKinty

Geboren 1968 in Belfast, Nordirland wuchs Adrian McKinty in Carrickfergus auf. Er studierte Philosophie an der Oxford University, lebte in den USA und und wohnt seit 2008 in Australien. Mit seiner „Dead“-Trilogie um Michael Forsythe wurde er hierzulande bekannt, in der Sean-Duffy-Reihe lässt er einen katholischen Polizisten zur Zeiten des Nordirlandkonflikts in Belfast ermitteln.

Wie hast Du Noir für Dich entdeckt?
Ich hasste Romane, Thomas Hardy, Charles Dickens, Henry Fielding, diese 18. Jahrhundert Romane, ich hasste sie. Wenn man mich fragte, welches Fach ich in der Schule am wenigsten mag, habe ich Englisch gesagt. Als ich dann 15 oder 16 Jahre alt war, entdeckte ich Noir. Ich entdeckte Jim Thompson, Dashiell Hammett, Raymond Chandler und dachte „wow, Bücher dürfen Spaß machen?!“. Sie sind unterhaltsam und interessant, ich hatte ja keine Ahnung, dass Bücher vergnüglich sein können. Das hat für mich alles verändert. Vorher dachte ich, dass Romane einfach dicke Bücher sind, durch die man durch muss. Ich liebe Noir.

Du hast Englisch gehasst und bist trotzdem Englischlehrer geworden?
Ja, paradoxerweise. Aber ich habe Englisch nicht studiert, ich habe Philosophie an der Universität studiert und begann schließlich, sehr, sehr viel zu lesen. Es gibt viele Menschen, die in der Schule nicht gerne lesen, aber dann später damit anfangen. In meinen frühen Zwanzigern habe ich ein Lesejournal geführt und in einem Jahr, ich glaube 1994, habe ich 170 Bücher gelesen. Und als ich mich als Englischlehrer beworben hatte, konnte ich sie überzeugen, dass ich wirklich Literatur liebe.

Nun zu Deinen Büchern. Warum hast Du ein historisches Setting für die Sean-Duffy-Romane gewählt?
Es ist für mich ein Zeitraum, an den ich mich sehr gut erinnere. Die Bücher beginnen 1981 – da war ich 13 Jahre alt – und sie spielen in dem Haus und der Straße, in der ich groß geworden bin. Im Grunde genommen lebt Sean also in dem Haus, in dem ich als Kind gelebt habe. Diese Zeit war interessant und aufregend. Als ich anfing, darüber zu schreiben, kam alles wieder zurück. Es ist erstaunlich, die Erinnerungen sind so dicht. Vladimir Nabokov schreibt in seiner Autobiographie, dass ihn all die Erinnerungen überflutet haben, als er sich hingesetzt hat, dieses Buch zu schreiben. Es sei als würde man einfach seine Erinnerungen kopieren. Und mir erging es bei den Sean-Duffy-Büchern genauso. Als ich mich hinsetzte und die Bücher schrieb, kamen die Erinnerungen an die Musik, das Essen, die Menschen, die Gewalt. Eine wichtige Erinnerung ist für mich die Nacht, in der Bobby Sands starb, mein kleiner Bruder und ich gingen zu einem Hügel und schauten herunter auf Belfast, die ganze Stadt war unter Feuer. Überall waren Unruhen, tausende Menschen in der Straße und Helikopter über der Stadt. Ich weiß noch, wie ich mir das anschaute und damals dachte, dass ist etwas, was wir erinnern sollten.

Aber hast Du verstanden, was dort tatsächlich passiert ist?
Nein, wir waren kleine Jungs, dachten, es sei auf einer viszeralen Ebene unglaublich, aber ich habe nicht wirklich verstanden, was dort vor sich gegangen ist. Ich erinnere mich, dass ich einmal mit einem Zug fahren wollte. In dem Zug davor aber war eine Bombe, die explodiert ist. Also haben sie Busse eingesetzt, die die Zugpassagiere transportieren sollen, und wir fuhren an dem explodierten Zug vorbei. Dann tat jeder dasselbe: Für zwei Sekunden schaute man auf diesen zerstörten Zug, dann kehrte man zurück zu dem Buch, das man gerade las. Und ich machte das auch, ich schaute hin und las meinen Comic weiter. Jahre später wurde mir erst bewusst, wie witzig es ist, dass alle nur kurz hinschauten und dann weitermachten, eben nicht riefen „Oh mein Gott, dort wurde ein Zug in die Luft gejagt! Siehst Du das?!“. Es war einfach außergewöhnlich.

Was waren die größten Herausforderungen beim Schreiben über dietroubles?
Es gibt sehr viele Filme über die troubles, von der BBC oder aus den USA, und sie sind alle schrecklich. Sie fangen die troubles nicht ansatzweise realistisch ein, sondern sie sind so moralisierend und didaktisch, sie sind unbeholfen und wenig differenziert. Deshalb wollte ich sie sehr viel nuancierter schildern. Alle Charaktere sollten eine Motivation und Gründe haben, warum sie tun, was sie tun.
Außerdem gab es damals sehr viel schwarzen Humor. Die Menschen in Belfast waren sehr, sehr lustig, aber niemand merkt es, weil sie einen sehr trockenen, dunklen Sinn für Humor haben, sehr sarkastisch. Es fällt nur nicht auf, weil sie niemals lächeln, deshalb sagen sie etwas sehr lustiges, aber man weiß nur, dass es ein Witz ist, weil es dieses seltsame Zwinkern in ihrem Gesicht gibt, ein sehr, sehr merkwürdige Falte an den Lippen. Aber kein Lächeln. Das war damals ein Weg, mit der schrecklichen Situation umzugehen, in den Filmen über die troubles habe ich das niemals gesehen. In diesen Filmen gibt es immer eine amerikanische Schauspielerin, die eine Irin spielt, die immer „oh, sie haben mir Johnny weggenommen, was machen wir jetzt“ gejammert und geweint hat. Das ist unrealistisch, so war es nicht. Also wollte ich in meinen Büchern die Musik, den Humor, die Kleidung und das Essen richtig haben, das schreckliche Essen, das es damals gab. Und das Rauchen, denn damals hat jeder erschreckend viel geraucht. Jeder hat geraucht, jeder hat getrunken, jeder ist betrunken gefahren. Das waren viele Herausforderungen, aber es hat auch viel Spaß gemacht. Es war ein wenig wie eine Zeitreise, dorthin zurückzukehren und die Zeit meiner Kindheit zu erforschen.

Wie hast Du die historischen Ereignisse ausgesucht?
Ich hatte ja eine große Auswahl. Indem ich das erste Buch 1981 ansetzte, wusste ich, dass ich den Hungerstreik nehmen muss, der weitreichende Folgen für die Gesellschaft hatte. Als Bobby Sands starb, kamen eine halbe Million Menschen nach Belfast zu seiner Beerdigung, es gab fast vierzig Tage jeden Tag Unruhen. Für das zweite Buch hatte ich den Falkland-Krieg und den Zusammenbruch der DeLorean-Fabrik. Zur Zeit des dritten Buches war der Ausbruch aus dem Maze-Gefängnis und nur einige Monate später ist Mrs. Thatcher sehr, sehr knapp dem Tod entronnen. Diese Ereignisse mussten in den Büchern sein.

Beim Lesen musste ich an den Film „The Iron Lady“ denken, deshalb hatte ich das Gefühl, Sean Duffy würde nun Meryl Streep retten. Als ich dann las, dass Du Dir bei einer Verfilmung Michael Fassbender als Sean Duffy vorstellen könntest, gefiel mir die Idee, dass diese beiden Schauspieler in einem Film sein werden. 
Michael Fassbender wäre großartig, aber ich glaube, wie können ihn uns nicht mehr leisten. Wenn wir ihn vor fünf Jahren bekommen hätten, bevor er so bekannt wurde, wäre es vielleicht möglich, aber nun ist er ein zu großer Star. Aber er wäre toll, ich liebe sein Schauspiel, er ist sehr intensiv. Da gibt es etwas in seinen Augen. Wenn man ihm in die Augen sieht, strahlen sie eine sehr nachdenkliche Intelligenz und emotionale Energie aus. Wenn er auf der Leinwand ist, nimmt man die anderen um ihn herum kaum noch war, weil er diese Ausstrahlung hat.

Ja, sogar in „Frank“, in dem er diesen Pappmaschee-Hut trägt.
Sogar unter diesem Hut merkt man, dass er es ist. Man hätte einfach ein Stunt-Double nehmen können, aber man weiß einfach, dass er es ist.

Was hältst Du von Margaret Thatcher?
Ich bin kein Fan von Margaret Thatcher. Als Kind war ich es, ich wuchs in einer protestantischen Straße unter Protestanten auf, wir alle dachten, Mrs. Thatcher sei großartig, sie würde die IRA zerschlagen, die Unionisten schlagen. Aber das ist nur die Weltsicht, mit der wir aufgewachsen sind. Als ich dann im Nachhinein über sie las, dachte ich nur, oh mein Gott, sie hat so viele Fehler gemacht! Es wäre so viel einfacher gewesen, in dem Wissen, dass der Hungerstreik seinem Ende zugeht, auf Adams einzugehen, oder die britischen Bergwerke und diese Industrie zu retten. Eine der größten Sachen, die sie in Nordirland machte, war, die ganzen Schiffswerften zu schließen, in denen die „Titanic“ und so gebaut wurden. Sie schloss sie, weil sie dachte, es gebe im Schiffsbau keine Zukunft mehr. Das war kurz vor dem großen Kreuzfahrtschiffsboom in den 1990er Jahren, sie hat diese Industrie zerstört, die Infrastruktur und das Herz aus dieser Kultur gerissen. Aber als kleiner Junge dachte ich, yeah, Mrs. Thatcher ist großartig. Aber das war sie nicht, sie war schrecklich. Großbritannien ist ziemlich unglücklich mit seinen Premierministern in den letzten 30 Jahren.

Und wie gehst Du mit den historischen Figuren in Deinen Büchern um?
Ich habe einfach meinen Spaß mit ihnen. Es macht Spaß, sie interagieren zu lassen, bisher hat sich auch niemand beschwert – und Gerry Adams ist in allen drei Büchern. Das erste Buch spielt in der Straße, in der ich aufgewachsen bin, und in dem Entwurf zu diesem Buch hatten alle Menschen aus dieser Straße noch ihre richtigen Namen, ich habe sie nicht geändert. Der Verlag hat dann Rezensionsexemplare verschickt und ich musste ihnen mailen, dass sie bitte diese Exemplare zurückbekommen müssen, da alle Leute unter ihren richtigen Namen drin sind. Das könnte ein riesiger Gerichtsprozess werden. Also mussten sie die Bücher zurückfordern und ich musste mir schnell falsche Namen ausdenken, damit das Buch publiziert werden kann. Manchmal komme ich nun durcheinander und frage mich, wer das noch einmal war. Ich sollte mir eine Tabelle mit den richtigen und fiktiven Namen machen.

Also gibt es die reizenden Nachbarn von Sean Duffy wirklich?
Ja, es ist nicht sehr kreativ.

Nein, aber sehr lustig.
Ich dachte einfach, ich packe alle dort hinein, erfinde keine Charaktere. Diese Menschen haben dort wirklich gelebt. Einer meiner Nachbarn lebte zwei Häuser weiter, im Buch heißt er – glaube ich – Bobby. Im wahren Leben musste er ins Gefängnis, weil er drei Katholiken ermordet hat. Er war ein Serienmörder. Aber im Buch ist er charmanter und interessanter als im wahren Leben, sonst wäre er zu eindimensional gewesen.

Du hast also die Ereignisse und die Charaktere. Wie arbeitest Du dann das Buch aus?
Bei manchen Büchern schreibe ich einfach los und schaue, wohin es mich führt. In dem dritten Buch mit dem locked room mystery habe ich alles sehr genau geplant. Ich liebe locked room mysteries und wusste immer, ich würde eins schreiben, es musste aber sehr genau ausgearbeitet sein. Deshalb habe ich es wie ein Uhrwerk ausgearbeitet, diese Information bekommt der Leser hier, die nächste dann erst hier. Ich gebe dem Leser genügend Informationen, damit er es selbst auflösen kann, bevor ich es auflöse. Ich hatte so viel Spaß dabei. Ich habe Wochen damit verbracht, eine riesige Übersicht mit dem Plot zu machen, bevor ich auch nur ein einzelnes Wort niedergeschrieben habe.

Ich mochte ja das kleine Zusammentreffen zwischen Michael Forsythe und Sean Duffy sehr.
Das hat mir auch Spaß gemacht, ich mag die ganze Szene. Wir wissen nicht, warum Sean einfach dorthin fährt und den Ort niederbrennt, dann trifft er auch noch Michael.

Und Michael ist noch so unschuldig. Wenn man ihn doch gerade am Ende der „Dead“-Trilogie zurückgelassen hat, ist es kaum vorzustellen, dass es derselbe Charakter ist. 
Ja, dieser Hardcore-Typ war mal ein junger, naiver Mann.

Hattest Du von Anfang an geplant, wie viele Teile es mit Sean Duffy geben wird?
Eigentlich wollte ich drei Bücher schreiben, dann habe ich noch ein viertes geschrieben. Aber ich bin kein großer Fan von Reihen, in denen es so viele Teile gibt. Bei Buch 15 oder 16 frage ich mich dann, warum mussten es so viele sein. Gerade im Noir kann niemand so viel Glück über so lange Zeit haben und immer wieder überleben, diese Explosion und jenen Angriff. Sie sollten tot sein oder wenigstens verletzt, sie müssten mentale Schrammen haben. Deshalb dachte ich, ich mache drei, dann hatte ich noch eine Idee – und ich glaube, ich habe noch eine weitere. Aber das war es dann. Vielleicht schreibe ich sogar dieses fünfte Buch nicht, aber falls ich es doch tue, gibt es kein weiteres mehr. Ich mache einfach etwas anderes. Diese langen Serien treiben mich zur Weißglut, außerdem werden sie auch immer schlechter. Beim 16. Buch hofft man, sie würden aufhören. Aber sie machen weiter, weil sie einen Zehn-Buch-Deal unterschrieben haben und dafür viel Geld bekommen haben. Ich würde das nicht machen.

Das Ende Deines dritten Buchs wäre schon ein guter Abschluss gewesen.
Ich liebe das Ende der dritten Buchs, deshalb wollte ich auch kein viertes schreiben. Ich dachte, ich würde niemals ein besseres Ende hinbekommen. Aber dann hatte ich diesen Traum, in dem ich das Ende des vierten Buches träumte. Es war fast wie im Film. Als ich aufwachte, dachte ich, dass ich niemals zuvor einen solchen Traum hatte. Also habe ich ihn in ein Notizbuch geschrieben, ungefähr einen Monat darüber nachgedacht und dann entschieden, ihn als ein Kapitel niederzuschreiben. Also schrieb ich das Kapitel, es gefiel mir, aber es gab kein Anfang und keinen Mittelteil. Dann überlegte ich, es einfach auf meinem Blog zu posten, habe es stattdessen in eine Schublade getan. Einige Wochen später dachte ich, ich würde gerne wissen, was vor dem letzten Kapitel passiert ist, also schrieb ich das vorletzte Kapitel, dann das drittletzte Kapitel – und bevor ich überhaupt wusste, was passiert ist, hatte ich das ganze Buch vom Ende her geschrieben. Der letzte Satz, den ich geschrieben habe, ist der erste Satz des Buches. Das habe ich aber meinen Verlegern nicht erzählt. Wenn ich ihnen sage, dass ich das Buch vom Ende her geschrieben habe, nachdem ich einen Traum hatte, hätte sie den Eindruck bekommen können, ich sei verrückt.

Werden Deine Bücher in Irland anders im Rest der Welt weltgenommen?
Ja, es unterscheidet sich. Ich bekomme immer Briefe oder Mails, in denen mir Menschen erklären, dass ich diesen oder jenen Laden falsch beschrieben oder in die falsche Straße gesteckt habe. Ich habe immer dieselbe Antwort: Das ist ein fiktionales Universum und in Sean Duffys Welt ist der Laden dort. Als das erste Buch herauskam, waren die Menschen aufgeregt, niemand redet über die troubles– gerade in Nordirland. Da ist diese omertà, der code of silence über das, was geschehen ist. Niemand möchte mehr darüber nachdenken, es ist vorbei. Nach dem ersten Buch fragten mich Leute, warum ich das wieder hervorhole, warum ich es nicht einfach ruhen lassen kann. Aber ich denke, wir sollten in die Vergangenheit schauen. Gerade als Schriftsteller solltest Du – wenn Du Deinen Job ernst nimmst – über die Dinge schreiben, die für Dich wichtig sind. Als ich 13, 14 Jahre alt war, war es mir sehr wichtig. Also, warum sollte ich darüber nicht schreiben. In Irland waren sie etwas feindseliger als in England oder den USA, aber so langsam werden sie neugieriger.

Meiner Meinung nach gibt es in Irland auch gerade einen Boom der Kriminalliteratur.
Ja, es ist erstaunlich, was in den letzten Jahren passiert ist. Für lange Zeit gab es nichts. Wenn man zu Waterstones gegangen ist – einen großen Buchladen in Belfast – und in die Krimi-Abteilung geguckt hat, war sie winzig und bestand mehr oder weniger aus James Ellroy und Elmore Leonard, vielleicht noch Ian Rankin, aber niemand sonst. Wenn ich Leuten erzählt habe, dass ich Noir geschrieben habe, fragten sie mich, was das ist. Sie konnten damit nichts anfangen. Langsam habe ich mir dann eine Leserschaft aufgebaut, dann kamen Brian McGilloway und Stuart Neville und in den letzten drei Jahren gibt es Menschen, die sagen, hier passiert etwas, hier sind mehrere Schriftsteller, die Kriminalliteratur schreiben. Nun fühlt es sich an, als würde sich eine Dynamik entwickeln, Menschen reden darüber, plötzlich gibt es irische Kriminalliteratur als eigenen Abschnitt in Buchhandlungen.

Gibt es zwischen irischer und nordirischer Kriminalliteratur einen Unterschied?
Ich glaube ja. Declan Burke und Gene Kerrigan sind gute Freunde von mir, aber ich glaube, im Norden ist der Ton etwas düsterer und feuchter, es regnet mehr, gibt mehr Dunkelheit, die Straßen sind glatter. Belfast und Dublin sind sehr verschiedene Städte. Dublin ist hell, fröhlich und wird am Abend sehr lebendig, Belfast ist abends viel geheimnisvoller, schwermütiger und das spiegelt sich in der Kriminalliteratur auch wider. Auch der Humor kommt in der irischen Kriminalliteratur einfacher zum Vorschein, er ist offensichtlicher lustig, in der nordirischen Kriminalliteratur ist er ironischer und sarkastischer, versteckter. Ich glaube, viele Leser – insbesondere nordamerikanische – verstehen diesen Witz nicht. Sie erkennen nicht, dass es lustig ist, sondern fragen sich, „warum sagt dieser Typ das?“. Das sind die kleinen Unterschiede. Ich glaube, nordirische Kriminalliteratur hat mehr mit der Kriminalliteratur aus Glasgow zu tun. Wenn Du McIlvanneys „Laidlaw“ und Ian Rankin gelesen hast, findest Du eine gewisse Nähe, insbesondere mit McIlvanney. „Laidlaw“ hat er in den 1970er Jahren geschrieben und Glasgow war ein Loch, es war schrecklich, was für Schriftsteller großartig ist. Er hat dieses Gefühl der Verzweiflung, Depression, Elend und Dunkelheit eingefasst, jeder war unglücklich, sie essen dieses schreckliche Essen, alles ist frittiert. Ich habe dieses Buch geliebt.

Gibt es etwas wie Irish Noir?
Ich denke, es gibt Belfast Noir. Tatsächlich habe ich letztes Jahr ein Buch herausgegeben, dass „Belfast Noir“ heißt. Manche Städte sind Noir-Städte und Belfast ist definitiv eine. Es hängt mit dem Licht zusammen, mit der Atmosphäre, dem Regen, den Straßen und dem Gemüt der Menschen. Im Belfast der 1980er und 1990er Jahre gab es dieses elektrisierende Gefühl in der Luft, dass etwas passieren wird. Das war noch vor den Mobiltelefonen, man tratsche also weiter, dass etwas passieren wird. Dieses Gefühl der Spannung hat die Stimmung geprägt. Und beim Noir ist das Visuelle wichtig, die Atmosphäre, deshalb glaube ich, dass es ein Belfast Noir oder ein Ulster Noir gibt. Vielleicht ist Irish Noir ein zu nebulöser Begriff. Wenn ich an Irland denke, denke ich an Schafe, grün, Nonnen und Fahrräder, das passt nicht zu Noir. Aber wenn ich Belfast und Noir zusammenpacke, funktioniert es. Man kann auch nicht England und Noir zusammenfügen. Wenn man England denkt, denkt man an „Downton Abbey“ und Witwen in Zügen. Aber mit manchen Städten funktioniert es, Birmingham Noir oder Newcastle Noir.

Oder Yorkshire.
Ja, ich habe gerade erst ein Trailer zu einem Film gesehen, der hat mich umgehauen, er heißt „Catch me daddy“ – der ist vollständig Yorkshire Noir.

Vielen Dank für das Gespräch!

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