Sonja Hartl

„Der Film ist ein Märchen“ – Ein Gespräch mit Hans Petter Moland

Schneeräumwagenfahrer Nils (Stellan Skarsgård) wurde gerade zum Bürger des Jahres gewählt als er erfährt, dass sein Sohn angeblich an einer Überdosis gestorben ist. Nils ist überzeugt, dass sein Sohn nicht drogensüchtig ist – und begibt sich auf einen Rachenfeldzug gegen die Gesetzlosen Norwegens.

 

Wie ist die Idee zu „Kraftidioten“ entstanden?

Schon vor einigen Jahren hatte ich die Idee zu dem Film. Wir sehen uns als durchaus zivilisiert, liberal und friedliebend, aber ich dachte darüber nach, was dazu führen könnte, dass wir unsere Zurückhaltung als Mensch verlieren – dass Menschen zu Mördern werden. Eigentlich erscheint ein Mord als absolut fernliegende Tat, aber offensichtlich gibt es Menschen, die morden. Dann habe ich Kinder im Teenager-Alter und denke darüber nach, welch schreckliche Dinge ihnen passieren könnten, denn es gibt viele Menschen, die unsere Kinder ausnutzen. Dann entwickelte ich diese Gedanken weiter: Was würde es mit mir machen, wenn eines meiner Kinder an einer Überdosis sterben würde? Was wäre mit dem Menschen, der ihnen die Drogen zu ersten Mal gegeben hat? Ist er schuldig – oder ist er auch einfach nur ein Opfer? Wer hat die Drogen ihnen gegeben und so weiter. Es gibt jemanden, der aus der Misere anderer Menschen Geld machen. Und würde ich es friedfertig hinnehmen, dass solche Menschen einfach ohne Strafe weitermachen? Dann spielte ich weiter dem Gedanken, wie ich sie bestrafen würde und was mit den Menschen umso herum wäre. Dabei kam mir der Gedanke, dass man ihnen nur mit Gewalt beikommen könnte. Das wäre der einzige Weg. Man muss ebenso gewalttätig oder sogar noch brutaler sein als sie es sind.

Damit hatten Sie die Idee, wie ging es dann weiter?

Ich habe einen Handlungsentwurf geschrieben, ihn zweimal überarbeitet und dann beiseite gelegt, weil ich mit anderen Dingen beschäftigt war. Als „Ein Mann von Welt“ im Wettbewerb in Berlin gelaufen war, sagte mein Produzent, das war ja ganz gut, also sollte vielleicht ich mit dem Drehbuchautor Kim Fupz Aakeson noch einmal zusammenarbeiten. Daraufhin zeigte ich ihm die Geschichte und wir versuchten, sie zusammen weiterzuentwickeln. Anfangs hatte ich mir dabei gar keine Komödie im Sinn, aber als ich ihm davon erzählte, fiel mir auf, dass sie ganz schön gewalttätig ist, also sagte ich, vielleicht sollten wir daraus eine Komödie machen.

Für mich verändert der Film seinen Ton. Er beginnt als Familiendrama, wird dann zu einer sehr schwarzen Komödie und das Ende ist für mich der perfekte Anfang eines Road Movies. Da würde ich zu gerne sehen, wie die Männer einfach ihre Waffen weglegen und dann mit dem Schneemobil losfahren – zwei Männer und ihrer Trauer.

Tatsächlich versuche ich gerade, eine Fortsetzung zu machen, in der die beiden durch das Gebirge fahren.

Wirklich?

Ja, ich bin gerade dabei, die Finanzierung auf die Beine zu stellen. Stellan hätte Lust dazu, Bruno ebenfalls und ich schreibe an einem Drehbuchentwurf, in dem genau das passiert, was Sie sagten: Sie packen ihre Waffen weg, fühlen sich ein wenig wie Kinder, die etwas Falsches getan haben. Dann fragen sie sich, worüber sie reden sollen, denn sie haben so lange nicht mehr gesprochen. Das wäre eine spannende Situation, diese beiden verlegenen Männer, die mit jemandem reden sollen, den sie als Feind betrachten.

Ja, aber sie teilen ihre Trauer, ihr Verlangen nach Rache und vielleicht auch Gewissensbisse. Was bedeutet denn Rache für Sie?

Gewalt und Rache sind keine fruchtbaren Lebensanschauungen, aber ich glaube Vergeltung kann wichtig für Menschen sein. Ich denke, wir brauchen einen Sinn für das Richtige, das Falsche und den Glauben, das Gerechtigkeit wiederhergestellt wird, wenn jemand etwas Falsches tut. Aber Rache sollten wir der Gesellschaft überlassen – in einer Weise, die ohne Gewalt auskommt. Das ist der erste Schritt in eine zivilisierte Gesellschaft, dass wir Gesetze haben, die das regeln.

In Ihrem Film gibt es viele Kommentare zu dem modernen Norwegen – vieles, was wir in Deutschland durchaus bewundern: den Wohlfahrtsstaat, die Liberalität, das moderne Familienbild. Wie würden Sie die Beziehung beschreiben zwischen diesem modernen Staat und der alten Geschichte von Vätern, die den Tod ihrer Söhne rächen?

Brunos Charakter kommt aus einer Gesellschaft, in der es ‚Auge um Auge‘ heißt, und handelt schon sein Jahren danach. Unsere Gesellschaft ist das ultimative Land des „halt die andere Wange hin“, und daraus entspringt Stellans Charakter. Aber – wie der Film zeigt – ist er dazu nicht in der Lage. Auf einer soziologischen Ebene wirft es daher die Frage auf, wie kann sich eine liberale, offene, friedliche und vielleicht auch naive Gesellschaft wie Norwegen gegen diese harten Typen wie Brunos Gang oder die zynischen norwegischen Gangster schützen? Und meine einzige Antwort ist, dass wir sehr verletzlich sind, aber: Wenn sich diese Gangster darüber unterhalten, wie gut es in norwegischen Gefängnissen ist, merkt man, dass sie einen harten Job haben. Sie haben keinen Acht-Stunden-Tag, keinen Pensionsplan, sie sind wie Dinosaurier, archaische Typen. Wenn sie die Menschen in den Bergen sehen, die wie Kinder im Schnee spielen, ist das der größte Angriff auf sie, weil sie auf einmal etwas sehen, was Spaß macht. Die größte Herausforderung und zugleich der beste Weg, gegen Menschen wie sie zu bestehen, ist daher, ihnen zu zeigen, dass dies die viel bessere Lebensweise ist. Sie mit kurzen Arbeitszeiten, wunderschönen Frauen und Sicherheit in Versuchung zu führen (lacht).

Es ist Ihre vierte Zusammenarbeit mit Stellan Skarsgård. Und abgesehen davon, dass er ein guter Schauspieler ist, warum arbeiten Sie immer wieder mit ihm zusammen?

Er ist einer der weltbesten Schauspieler, also wäre es schwierig, ihn nicht zu nehmen, wenn man ihn bekommen könnte. Außerdem passt er sehr gut in die Rolle. Er ist stoisch und kann jemanden, der so ruhig ist, gut spielen, ihm zugleich Humor und Mitgefühl verleihen, aber auch die Wut geben. Und natürlich sind wir Freunde, deshalb glaube ich, können wir aus einander das Beste herausholen.

Sie scheinen ohnehin gerne mit denselben Menschen zusammenzuarbeiten – ist es aus Gewohnheit oder gibt es einen anderen Grund?

Es wäre ein wenig vermessen zu sagen, dass sei meine eigene Kompanie (lacht). Aber wenn ich Menschen finde, mit denen ich gut und gerne zusammenarbeite, dann wäre es bedauerlich, diese Zusammenarbeit nicht fortzusetzen. Also habe ich viele selbstsüchtige Gründe: Ich will gute Leute haben. Außerdem lernt man sich bei Dreharbeiten schnell und sehr gut kennen – das macht man auch, wenn man Freunde findet: man versucht, einander in die Seele zu schauen, weil es wichtig ist. Und wenn man dieses Vertrauen zueinander einmal gewonnen hat, wäre es doch schade, nicht wieder zusammenzuarbeiten. Und natürlich macht es Spaß. Es hilft mir auch, in einem Umfeld zu arbeiten, in dem ich weiß, dass ich gemocht werde. Es reicht nicht, nur talentierte Menschen um sich zu haben, wenn sie dich nicht mögen, wenn sie dich für einen Idioten halten. Man kann die besten Schauspieler der Welt haben, aber wenn sie dich nicht mögen, leidet die Arbeit.

Die größte Überraschung in Ihrem Film war für mich Pål Sverre Hagen als Gangsterboss. Hatten Sie an ihn von Anfang an bei dieser Rolle gedacht?

Nein, aber ich fragte ihn, ob er zum Vorsprechen kommt, und er war fantastisch. Er ist außerordentlich gut in der Rolle, außerdem bringt er noch etwas Groteskes, Bizarres mit ein. Im selben Moment ist er absolut lächerlich und sehr gefährlich. Wir hatten viel Spaß beim Drehen und werden sicher noch einmal zusammenarbeiten.

In vielen Besprechungen werden die Coens und Quentin Tarantino als Ihre ‚Vorbilder‘ genannt. Haben diese Regisseure und ihre Filmen Einfluss auf Sie?

Nein, ich habe nicht versucht, Filme wie sie zu machen. Die meisten Kritiker haben es als Kompliment gemeint, aber es ist ein wenig bequem, den Film nur wegen des Schnees und Blutes mit „Fargo“ zu vergleichen. Es gibt viele Filme mit Schnee. Und Blut. Ich glaube, ich hatte meinen Sinn für Humor, bevor es einen Film der Coen-Brüder gab. Aber ich habe mich auch gefragt, woher es kommt. Es erscheint mir als Möglichkeit, dass wir die gleichen Filme mögen – vielleicht haben die Coen-Brüder und ich die gleichen Filme gesehen und mögen nun alle drei Billy Wilder. Ich mag ihre Filme, aber ich glaube, es gibt mehr Unterschiede als Ähnlichkeiten. Und abgesehen davon, dass der Film durchaus gewalttätig ist, hat er nichts mit Quentin Tarantino zu tun.

Der Winter und der Schnee sind ein Gegenpart zu der Gewalt. Hatten Sie diesen visuellen Stil von Anfang an im Kopf?

Der Film ist ein Märchen, er ist stilisiert wie ein Märchen: Es war einmal ein Mann, der hatte die Mission, diesen kleinen Pfad in der Wildnis schneefrei zu halten. So beginnt die Geschichte. Er war stolz auf die Arbeit, sie ist nützlich und bedeutsam. Und er war so gut, dass sogar seine Mitmenschen erkannten, welchen wichtigen Beitrag er leistet und ihm einen Preis dafür gaben. Wir sehen nie, was auf der anderen Seite dieser Berge ist. Dieser Weg ist einfach nur eine Möglichkeit, woanders hinzufahren. Es ist vielleicht für Fremde ein wenig schwer zu verstehen, aber normalerweise ist es in Norwegen so, dass man dort wie in einer Art Konvoi fährt – jeder für sich, aber der Schneeräumwagen ist der erste. Er sollte die letzte Bastion vor der Wildnis sein, ein Pfadfinder in der Einöde. Er lebt an der Grenze des Ortes, hinter seinem Haus gibt es nur die Wildnis. Deshalb habe ich viele Geräusche herausgenommen, um die Umstände, in denen dieser Mann lebt, deutlich zu machen. Auf der anderen Seite gibt es die Stadt. Gedreht haben wir in Oslo, aber wir haben das Umfeld verändert. Normalerweise kann man die Berge nicht sehen, also haben wir sie genommen und an den Horizont gesetzt. Die Straße, die in die Stadt führt, ist eigentlich an einem anderen Ort, aber wir haben auch sie genommen und woanders hingesetzt. Das sollte die Geschichte auch einfachen: Der Mann geht nach dem Tod seines Sohnes in die Stadt, um die bösen Typen zu töten. Aber ich wollte auch die Reaktion verhindern „oh, es ist Oslo“, denn es soll nicht Oslo sein, sondern die Hauptstadt der Arktis. Dadurch wollte ich das Archetypische des Konflikts und die Weite der Natur im Gegensatz zur Stadt herausstellen. Das war jetzt eine sehr lange Antwort auf Ihre Frage.

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