Die Ozark Mountains in Missouri, Knockemstiff in Ohio, das südliche Indiana, der Osten von Texas – es sind ländliche Gegenden in den USA, vergessen von der neoliberalen Wirtschaftspolitik, geprägt vom Weggang der Industrie und Niedergang der Landwirtschaft. Die Menschen dort sind arm, ihr Leben wird gelenkt von Gewalt, Religion und Obsession. Arbeitslosigkeit und Gleichförmigkeit bestimmen ihr Dasein, Ablenkung bringen Drogen und Hundekämpfe.
Dieses Bild von dem Leben in den ruralen Landstrichen der USA vermitteln die Romane des Country Noir, geschrieben von Daniel Woodrell, Donald Ray Pollock, Frank Bill oder auch Joe R. Lansdale. Ihre Protagonisten werden durch ihre Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse definiert und leben in einem untergehenden, engen Milieu. Geprägt vom Southern Gothic, von Flannery O’Connor, Mark Twain, William Faulkner, dem frühen Cormac McCarthy sowie Jim Thompson widersprechen die Geschichten des Country Noir dem amerikanischen Credo des Strebens nach Selbstverwirklichung und sozialem Aufstieg. Das Verhältnis von Zivilisation und Wildnis, von Mensch und Natur spielt eine wesentliche Rolle; die Regionen werden zu fast isolierten Welten, in denen eigene Regeln gelten, über die niemand spricht. In den Ozarks – so lassen es uns die Bücher von Daniel Woodrell, aber auch „Cutter and Bone“ von Newton Thornburg glauben – sind Familien schon seit Generationen beheimatet und bestimmen, wer du bist. Geld wird mit dem Anbau von Marihuana, dem Kochen von Crystal Meth oder Viehzucht verdient, niemand redet mit der Polizei oder Außenstehenden, lieber stirbt man. Es ist ein einfaches Leben, in notdürftig geflickten Häusern, in Holzhütten und Trailerparks, in denen das Geld für Kleidung, ausreichend Lebensmittel oder gar eine schulische Ausbildung fehlt.
Es ist ein Verdienst der Romane des Country Noir, die ländlichen Gegenden als Orte wieder ins Bewusstsein zu bringen. Zugleich bedient diese Hinwendung zu armen Schichten und zu dem vermeintlich einfachen Leben in der Natur eine verklärte Sehnsucht nach Distanz zu der modernen, technisierten Gesellschaft. Dabei prägen die Schilderungen in den Büchern unsere Vorstellungen von diesem Leben, die von Fotografien und natürlich Filmen noch stärker beeinflusst werden. Im US-amerikanischen Independentkino finden sich seit den 2000er Jahren wiederholt Filme, deren Geschichten in den bisher wenig bekannten ruralen Kinolandschaften spielen. Dazu gehören u.a. Debra Garniks Verfilmung von Woodrells „Winters Knochen“, Kelly Reichardts „Wendy und Lucy“ und Filme wie „Passenger Pigeons“, „Frozen River“, „Mud“ und „Joe“. Ästhetisch orientieren sie sich an der Tradition des neorealistischen europäischen Kinos und schaffen damit Bilder dieser Lebensweise, die eng in der Realität bleiben und dadurch Authentizität suggerieren. Die Jagd nach Eichhörnchen, die Betonung von Naturgewalten, brachliegende Feldern und heruntergekommene Trailerparks, in denen überwiegend weiße Menschen in dicken wolligen Jacken wohnen, werden dadurch zu repetitiven Motiven in US-amerikanischen Filmen und Büchern, zu denen in der Bildsprache in der Regel leicht überbelichtete Aufnahmen kommen, die verlassene Farmhäuser und vergessene Orte zeigen.
Es ist wichtig, von diesen Landstrichen und Lebensweisen zu erzählen, jedoch darf dabei nicht übersehen werden, dass damit eine Ästhetisierung der Armut einhergehen kann, die ähnlich funktioniert wie die Romantisierung des Exotischen: Armut wird zum Hintergrund einer Geschichte, sie liefert eine Kulisse wie die Wüste Afrikas für koloniale Erzählungen und die schroffe Nordseeküste für Regionalkrimis. Armut ist in diesen Werken oftmals nicht die einzige Realität, die die Menschen kennen, sondern sie ist das Handlungsmotiv für hartgesottene Figuren. Armut bedeutet hier nicht chronische Gesundheitsprobleme, Leere und Perspektivlosigkeit, sondern sie birgt eine Entschuldigung für Gewalt. Sobald Armut aber zu einem Topos wird, wird die Wahrnehmung der Realität beeinflusst – und das ist besonders problematisch, wenn sich literarische und filmische Repräsentation auf dokumentarische Bilder und Berichte abfärbt, die von den tatsächlichen Nöten dieses Lebens berichten. Dabei zeigt derzeit die Hipster-Ästhetik, wie weit diese Ästhetisierung gehen kann: Sie erinnert an Trailerparks; Bärte und nachlässig hochgesteckte Haare kamen dort auf, als Männer glattrasiert sein sollten, um Erfolg zu haben. Kaputte Kleidung, abgetragene wollige Pullover und Jacken waren Folgen fehlenden Einkommens. Doch heutzutage wird sehr viel Geld dafür ausgegeben, arm auszusehen. Das ist eine Hingabe an die Armut, ohne die Härten der
Armut – und sie darf niemals dazu führen, dass die Notwendigkeit von Hilfe(stellungen) bei tatsächlicher Armut in den Hintergrund rückt.