Sie soll dieses Lied nicht singen. Es heize die Leute an, es führe zu Aufruhr, noch dazu wurde es von einem Kommunisten geschrieben. Aber Billie Holiday (Andra Day) kümmert das nur wenig, sie will Strange Fruit singen, will Stellung beziehen zu Lynchmorden an Schwarzen in den USA. In Lee Daniels’ Film „The United States vs. Billie Holiday“ wird es lange dauern, bis die Zuschauer*innen dieses Lied das erste Mal in voller Länge hören. Aber wenn Andra Day es singt, ist es ein kraftvoller, ein unvergesslicher Moment in einem Film mit klaren Schwächen.
Der Kampf gegen Strange Fruits ist der Aufhänger für diesen Film. J. Edgar Hoover will, dass sie aufhört, dieses Lied zu singen – aber selbst Regierungsbehörden verstehen, dass sie eine Sängerin nicht dafür verhaften können, welches Lied sie singt. Also nehmen sie Holidays Drogensucht als Angriffspunkt. Diese Aufgabe übernimmt Harry J. Anslinger (Garret Hedlund) zu gerne. Er setzt den Schwarzen FBI-Agenten Jimmy Flechter (Trevante Rhodes) auf Holiday an und hat schon bald einen ersten Erfolg. Aber Billie Holiday ist nicht so einfach kleinzukriegen.
Lee Daniels konzentriert sich in The United States vs Billie Holiday auf die letzten zwölf Jahre der Sängerin – aber schon der Aufhänger mit Strange Fruit deutet an, dass dieser Film kein klassisches Biopic ist. Er basiert auf dem Sachbuch Drogen von Johann Hari, in dem Hari engagiert den war on drugs der US-Regierung beschreibt. Maßgeblich geprägt ist dieser Krieg von Harry J. Anslinger, der von 1930 bis 1962 das Federal Bureau of Narcotics – einem Vorläufer der DEA – leitete. Von Anfang an war die Drogenpolitik zutiefst rassistisch. Das zeichnet Hari in seinem Buch weitaus deutlicher als es der Film macht, aber es wird auch in Anslingers Feldzug gegen Billie Holiday deutlich: Die Drogensucht ist der vorgeschobenen Grund. Tatsächlich geht es ihm darum, eine Schwarze Frau kleinzukriegen. Billie Holiday ist an einer Leberzirrhose gestorben. Noch im Sterbebett hat das Federal Bureau of Narcotics sie verhaftet, nachdem sie ihr wohl vorher Heroin untergeschoben haben.
Lee Daniels macht sehr deutlich, wie persönlich, besessen, rassistisch und ungerecht dieser Kampf gegen Billie Holiday ist. Der war on drugs wurde schon immer benutzt, um rassistische Strukturen aufrechtzuerhalten und durchzusetzen. Dieser gesamtgesellschaftliche Gegenwartsbezug klingt indes in Daniels‘ Film allzu zaghaft an. Stattdessen verliert sich sein Film in einer Aneinanderreihung von Momentaufnahmen, die mal großartig wie die bemerkenswerte Montage von Billie Holidays Europatournee sind. Aber auch schwach wie der gesamte Strang um den Undercover-Agenten Fletcher, der vom Verräter zum Vertrauten wird. Er wird angedeutet als Retterfigur. Im Gegensatz zu Billie Holidays im Film austauschbaren Ehemännern, die allesamt gewalttätig und betrügerisch sind, will er ihr helfen. Er behandelt sie gut. Doch sie kann das nicht ertragen.
Die vielen Aspekte, die in dem Film anklingen, die vielen Momentaufnahmen sorgen dazu, dass ihm ein dramatisches Zentrum fehlt. Das hätte mühelos Andra Day als Billie Holiday sein können. Leider wird nicht erklärt, warum es ausgerechnet Billie Holidays Interpretation dieses Liedes war, die die Behörden erzürnt hat. Ohnehin werden – wie etwa zuletzt auch in Ma Rainey’s Black Bottom – vor allem persönliche Traumata als Grund ihrer Musik angeführt. Aber ihre Art zu singen war einzigartig. Sie war eine der ersten Jazzsängerinnen, die sich als Teil des Ensembles verstanden hat, die ihre Stimme wie in Instrument gesehen hat. Deshalb singt sie ein Lied nicht jedes Mal gleich. Und hierin entfaltet der Film seine größte Stärke: Andra Day hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Billie Holiday – sowohl äußerlich als in dem Film auch stimmlich –, aber sie interpretiert jedes Lied für sich. Im Gegensatz zu allzu vielen Biopics, die eher auf Nachahmung denn Interpretation setzen, geht The United States vs Billie Holiday einen anderen Weg und überzeugt damit auf ganzer Linie. Die Auftritte von Andra Day als Billie Holiday sind unvergesslich – allesamt. Aber eines sollte man dennoch nie vergessen: Am Ende wird eine Texttafel eingeblendet, die klar macht, dass Lynchmorde in den USA noch immer nicht verboten sind. Im Jahr 2019 wurde das Emmett-Till-Gesetz eingebracht, das Lynchmorde verbieten soll. Aufgrund des Vetos des Senators aus Kentucky wurde es nicht beschlossen. Und genau daran sollte man auch jedes Mal denken, wenn man Billie Holidays unvergleichliche Stimme hört.
Erschienen ist diese Kritik zuerst bei Kino-Zeit. Dort findet sich auch eine Kritik zu dem Dokumentarfilm “Billie – Legende des Jazz“.