Lyrisch, rhythmisch und hypnotisch – Emma Glass hat mit „Peach“ einen bemerkenswerten Roman über eine Traumatisierung geschrieben.
Der Pfirsich. Weiche Haut. Saftiges Fleisch. Gerade noch in „Ruf mich bei Deinem Namen“ – im Roman und insbesondere im Film – ein Symbol der sehnsüchtigen Fleischeslust nach dem Angebeteten, gehen bei Emma Glass‘ „Peach“ Symbol und Sehnsucht verloren. Ihre Titelfigur heißt nicht nur Peach, sie ist Pfirsich. Ein echter, wirklicher Pfirsich. Und Peach ist etwas zugestoßen. Der Geruch von verbranntem Fett verstopft ihr auf der ersten Seite die Nasenlöcher, alles klebt und schmerzt. Spätestens auf der zweiten Seite ist klar, dass sie vergewaltigt wurde. Aber ihr Freund Green, groß, stabil, mit Fingerzweigen, ein Baum eben, darf nichts davon erfahren. Ihre Eltern sind zu sehr miteinander und dem neuen Baby beschäftigt, um etwas zu merken. Ihrem Lehrer Herrn Pudding fällt auf, das etwas ist, aber sie schafft es nicht, sich ihm anzuvertrauen. Daher muss Peach damit alleine klarkommen. Aber es droht sie zu ersticken, zum Platzen zu bringen. Denn in ihr wächst etwas und wird immer größer.
Schon hier ist klar, vieles ist anders in diesem Buch. Jede Figur ist etwas, ist eine Sache. Und was sie sind, verweist auf ihren Charakter: Green ist verlässlich und bietet Halt, Herr Pudding ist weich und nett, Peachs Vergewaltiger Maxe ist eine Wurst. „Ich wollte mir Abstand zu der Gewalt und dem Trauma verschaffen und dabei hat es mir geholfen, die Charaktere als abstrakte Wesen zu schreiben“, erklärt Emma Glass im Gespräch mit BÜCHER. Deshalb kann man dieses Buch sicherlich als Allegorie lesen, aber eben auch als einen Roman über eine sehr reale Vergewaltigung in einer sehr surrealen Welt.
Ausgangspunkt war aber gar nicht die Traumatisierung. „Anfangs fühlte ich mit von der Erzählstimme angezogen und experimentierte mit lyrischer Sprache. Als die Figur Peach zu mir kam und ich erkannte, dass ich über ein angegriffenes Mädchen schreibe, ging es weniger über diesen Angriff, sondern mehr über die bedrohliche Gegenwart ihres Angreifers“, erzählt Emma Glass. Deshalb kann Peach nach dem Überfall kein Fleisch mehr sehen und riechen, außerdem fühlt sie ständig verfolgt und muss erkennen, dass sie von Maxe beobachtet wird. Dabei wollte Emma Glass „etwas schreiben, was die Leser erfahren und fühlen, nicht nur lesen können. Ich wollte es verbildlichen, nicht nur schreiben.“
Tatsächlich verringern die lyrische Sprache und vor allem der hypnotische Rhythmus der Worte, der sich im Original wie in der Übersetzung von Sabine Kray sehr auf den Klang verlässt, den emotionalen Abstand. Schon mit den ersten Sätzen wird man hineingerissen: „Plump klebt klebrig nasse Wolle. Klebt. Windet sich um Wunden, schließt Schnitt um Schnitt mit jedem Schritt, an der Wand entlang: meine Hand, behandschuht, schrammt daran.“ Und sobald man akzeptiert, dass es hier keine wie immer geartete analytische Distanz gibt, entwickelt „Peach“ einen Sog, der einen unweigerlich auf das Ende zurasen lässt.
„Peach“ zieht unaufhaltsam in die Gefühlswelt eines traumatisierten Teenagers – und deshalb ist einzig zu bedauern, dass am Ende der 117 Seiten dann doch wieder das steht, was allzu oft in Büchern über weibliches Leid steht: das Verschwinden. Aber der Weg dorthin ist innovativ, poetisch-grausam und hypnotisch.
Emma Glass: Peach. Übersetzt von Sabine Kray. Edition Nautilus, 128 Seiten. 19,90 Euro.
Erschienen in: BÜCHER 04/2018. S. 23.